Kategorie: Lebensmittelwirtschaft

Brotgetreide bio und regional – Beispiel Rügen

Brot der Bäckerei Horn in Binz auf Rügen, Brote im Anschnitt

Konditorei und Bäckerei Horn im Ostseebad Binz zählt zu den kleinen Bäckereien auf der Insel Rügen. Der Familienbetrieb, der sich selbst als »Generationenbäckerei« versteht, existiert bereits seit 1927.

Neben dem Bäckereichef Andreas Horn ist auch schon die nächste Generation in der Backstube tätig: Sohn Sebastian führt das Handwerk weiter, und Vivian, die Schwiegertochter, verkauft ebenso kundig wie leidenschaftlich die hauseigenen Brot- und Backwaren.

Betritt man über einige wenige Treppenstufen den Verkaufsraum der Bäckerei in Binz, spürt man: hier dreht sich ganz viel um Tradition. Abseits des touristischen Rummels im Ostseebad können sich in der Bäckerei vor allem die alteingesessenen Kundinnen und Kunden aus dem Ort angesprochen fühlen. Viele, die hier einkaufen, kommen schon seit Jahren, und sie kommen über das ganze Jahr, nicht nur in den Sommermonaten wie die Urlaubsgäste, und sie bleiben auch gerne mal etwas länger auf einen Kaffee oder einen Schnack.

Ganz anders die helle, moderne Horn-Filiale im nahegelegenen Prora, wo sich vom Frühjahr bis weit in den Herbst hinein tausende Urlaubsgäste in zahlreichen Ferienapartments aufhalten, die in der Frühe gebackene Brötchen zum Frühstück wollen und nachmittags Kuchen.

Zukunft des Backhandwerks

Bäckereien wie die Horns haben es heutzutage nicht leicht. Ein erheblicher Teil der Kundschaft, die über viele Jahre die Treue gehalten hat, kommt altersbedingt weniger. Sobald die Jüngeren die Einkäufe und Besorgungen übernehmen, spielt die langjährige emotionale Bindung an eine örtliche Bäckerei eine geringe Rolle. Und wenn es egal ist, wo das Brot herkommt, dann zählt vor allem der Preis. Der ist in den Discountern und im Vorkassenbereich der Supermärkte bekanntlich besonders niedrig.

Die Konditorei und Bäckerei Horn steckt deshalb in einem Dilemma, in dem sich viele vergleichbare Bäckereien befinden. Einerseits kann und will sie die ältere Kundschaft nicht verprellen. Zugleich muss sie aber auch für weitere Zielgruppen attraktiver werden – nicht zuletzt mit neuen, unverwechselbaren Broten und Backwaren, mit Qualität und Geschmack.

Nachfrage nach Regionalem wächst

Die Horns haben zudem genau registriert, dass immer mehr Kundinnen und Kunden – nicht nur Urlaubsgäste – nach »Regionalem« fragen und wissen wollen, wo das Getreide, wo das Mehl herkommt. Zugleich werden originelle, geschmacksintensive Dinkel-, Roggen- oder Weizenbroten nachgefragt. Diese Kundengruppen sind zugleich bereit und in der Lage, mehr Geld für hochwertige Backwaren auszugeben.

Hier eröffnen sich den Horns neue Spielräume und Chancen. Neben den Broten, die die alteingesessene Kundschaft gerne kauft, sollen mit charakterstarken Vollkorn-Dinkel- und Roggenbroten neue Käufergruppen angezogen werden.

Bereits die letzten Sommer haben die Horns gute Erfahrungen mit hochwertigen, durchaus auch höherpreisigen Frühstücksangeboten in den Filialen, die mit Qualitätsprodukten – teils Bio – von Erzeugern aus der Region punkten können (wie z.B. Käse aus einer nahegelegenen Hofkäserei oder den hausgemachten saisonalen Aufstrichen).

Bio und regional mit kurzen Lieferketten

Für ihre neuen Angebote haben sich die Horns nach Brotgetreide bzw. Mehl aus der Region umgesehen und arbeiten nun mit einem Projekt zusammen, das aus dem Bundesprogramms Ökolandbau (BÖL) finanziert ist. Das Getreide wird im Unesco-Biosphärenreservat im Südosten der Insel Rügen auf extensiv bewirtschafteten Flächen angebaut, die sich von den Großflächen der herkömmlichen Landwirtschaft, die auch auf Rügen dominiert, wohltuend unterscheiden. In der Nähe gereinigt, gelangt das Getreide in die Backstube der Bäckerei Horn.

Die neuen Vollkorn-Brote, die zweimal die Woche in Binz gebacken werden, verkaufen sich gut, und sogar die Kuchen aus Vollkornmehl kommen an. Mit transparenter Regionalität, Qualität und gutem Geschmack gelingt es der Bäckerei Schritt für Schritt, neue Kundinnen und Kunden anzusprechen. Aber auch ein erheblicher Teil der ortsansässigen Bevölkerung hat verstanden: Ja, regional mag teurer sein, aber die Wertschöpfung bleibt vor Ort und bietet bestehenden Betrieben neue Chancen für die Zukunft, schafft vernünftig bezahlte Arbeitsplätze, belebt letztlich auch Städte und Gemeinden.

Jetzt ist es Frühjahr. Die neuen Brote laufen gut, bald füllen sich die Ferienwohnungen und Hotels auf Rügen, und mit den Urlaubsgästen geht erfahrungsgemäß auch noch einmal die Nachfrage nach oben. Die Nagelprobe beginnt im Herbst. Wird das Angebot über die Wintermonate, also auch nach der touristischen Hauptsaison, Bestand haben?

Wir sind optimistisch und drücken die Daumen!

Generationenbäckerei Horn
Hauptstr. 15, 18609 Ostseebad Binz
Öffnungszeiten: Tägl. 7–17 Uhr, Dienstag Ruhetag

Ostseefischerei – kommt da noch was?

Am Strand des Ostseebades Zingst konnten Urlaubsgäste im Frühsommer 2021 eine eindrucksvolle Fotoausstellung bewundern: Dutzende meterhoher Porträts von Fischern in Arbeitskleidung. Die Porträtierten, im Jahr davor abgelichtet, wirkten inmitten der Urlaubskulisse wie Wesen aus einer fernen Zeit.

Die küstennahe »kleine« Ostseefischerei steht in Deutschland unter Druck, die Zahl der Fischer und Fischerinnen – ja, die gibt es auch – geht kontinuierlich zurück. Das ist in Schleswig-Holstein nicht viel anders als in Mecklenburg-Vorpommern. Heute werden an der deutschen Ostsee 417 Berufsfischer gezählt, Anfang der 1990er-Jahre waren es mehr als 1300. Damit droht eine jahrhundertealte Fischerei- und Küstenkultur gänzlich zu verschwinden.

Niedrige Fangquoten

Unterwegs auf Rügen und Hiddensee trafen Fischereiexpert:innen von Slow Food Deutschland anlässlich des »Tages der Meere« Anfang Juni 2021 den Fischer Sven Thürke im Hafen von Vitte. Die niedrige Fangquote für die »Brotfische« Hering und Dorsch sei das größte Problem der Fischer, erläutert Thürke unumwunden.

Die erlaubten Fangmengen für Hering und Dorsch in der westlichen Ostsee sind auf einem historischen Tiefststand angelangt, nahe Null. Die jährlichen Fangquoten werden von den EU-Ländern festgelegt, mal mehr, mal weniger dem Rat der Wissenschaft folgend. Die EU und die Länder haben erst jüngst die Abwrackprämien für Fischereifahrzeuge noch einmal erhöht, um mehr Fischer zum Aufhören zu bewegen.

Auf die Wissenschaft sind die Fischer nicht gut zu sprechen, wie auch Sven Thürke im Gespräch freimütig zugibt. Dennoch, die Empfehlungen der Forschung sind eindeutig und wohlbegründet. Neben einer jahrzehntelangen starken Befischung und komplexen ökologischen Prozessen spielt inzwischen die Klimakrise eine Schlüsselrolle beim Rückgang des Herings und des Dorschs. Deren Bestände sind infolge der immer wärmeren Ostsee gefährdet. Die Fischer bestehen darauf, die Zusammenhänge anders zu deuten.

Gefrustet von Freizeitanglern

Da bereits seit Jahrzehnten die erzielten Preise für Ostseefisch notorisch zu niedrig sind, wissen die Fischereibetriebe sich nicht anders zu helfen, als auf Menge zu fischen – komme, was wolle. Wurde das Gros der Fänge früher billig nach Dänemark verkauft, geht es heute in die nach Osteuropa abgewanderten großen Fischwerke, um schließlich als preiswerte Konserve oder Katzenfutter in unseren Supermärkten zu landen.

Die Fischer frustriert zusätzlich, dass die Politik dem gut organisierten Freizeitangler-Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern ähnlich hohe Fischmengen zubilligt wie der Berufsfischerei. Freizeitangler brächten eben mehr Geld ins Land, heißt es lapidar. Erst kürzlich eskalierte der Streit um den Boddenhecht, den die Freizeitangler am liebsten exklusiv befischen möchten; der Landwirtschaftsminister musste schlichten.

In Mecklenburg-Vorpommern bewegt sich die handwerkliche Fischerei zudem im Umfeld einer von saisonabhängigem Massentourismus geprägten Gastronomie, die dem Thema Nachhaltigkeit und Qualität keinen hohen Stellenwert einräumt. Aus der Tradition der DDR heraus galt lange, dass Urlaub in erster Linie preisgünstig zu sein habe, was Unterkünfte und Verpflegung angeht. Damit hat das Bundesland nach der Wende über viele Jahre großen Erfolg gehabt, die Ferienwohnungen, Hotelbetten und Übernachtungszahlen wurden immer mehr. Jetzt gerät das Tourismusmodell spürbar an seine Grenzen und die kritischen Stimmen auf Rügen, Usedom und an der Küste werden lauter.

Anonymer Fisch auf allen Tellern

Für den interessierten Esser ist es heute praktisch kaum nachvollziehbar, woher der Fisch in der Gastronomie des Bundeslandes kommt. Im unteren einstelligen Bereich soll der Fisch aus der Ostsee stammen, hört man. Den meisten Gästen ist das völlig egal, Hauptsache irgendwas mit Fisch. Das darf dann auch Pangasius sein! Fragen nach der Herkunft sind ungern gesehen, es herrscht die »Omertà«, eine Art Schweigegelübde.

Sicher gibt es auch die guten Beispiele. Die Gastronomie der Störtebeker-Brauerei in Stralsund bietet ihren durchaus angemessen bepreisten Tagesfang nur dann an, wenn der Fischer liefert. Mitunter finden sich unscheinbare Lokale mit Plastikstühlen, Familienbetriebe, die Fisch aus eigener Strandfischerei oder vom Fischer um die Ecke anbieten.

In Mecklenburg-Vorpommern haben Politik und Verbände über Jahrzehnte die Chance verpasst, durch Marketingmaßnahmen, etwa Herkunfts- und Qualitätszeichen, dem heimischen Seefisch mehr Wertschätzung zu verschaffen und eine regionale Marke aufzubauen. Die kleine Küstenfischerei wurde faktisch aufgegeben. Nachdem zuvor schon die Hochseefischerei gleich nach der Wende abgewrackt wurde, fehlte es im Land wohl an Mut und Ideen.

Generell tun sich jedoch auch die Fischer mit der Eigenvermarktung schwer. Sie verstünden sich nicht als Fischverkäufer, heißt es. Zugleich hätten sie die Erfahrung machen müssen, dass die wenigsten Küchenchefs mit einem fangfrischen Naturprodukt umgehen können. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Kultur der Direktvermarktung von Fisch anders als in Schleswig-Holstein an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns kaum entwickelt ist. Fisch vom Kutter ist eine Seltenheit.

Hiddenseer Kutterfisch

Hier kommt die Initiative »Hiddenseer Kutterfisch« ins Spiel. Ihr Initiator Mathias Schilling bewohnt mit seiner Familie die Insel Öhe und betreibt Rinderhaltung. Eine Zeitlang hat er sein Öhe-Biofleisch erfolgreich im rund 300 Fahrtkilometer entfernten Berlin verkauft. Mit fangfrischem Seefisch klappte das nicht: »Mit dem Fischwagen in Berlin und nur einer einzigen Sorte Fisch in der Auslage, weil am Vortag nichts anderes im Netz der Fischer war, das haben die wenigsten Kunden verstanden.« Heute schmunzelt er darüber.

Irgendwann muss sich Schilling entschlossen haben, die gesamte Wertschöpfung in die Hand zu nehmen und eine eigene, qualitätsorientierte Gastronomie zu schaffen – mit dem Fleisch seiner Rinder und dem heimischen Fisch. Gut ein halbes Dutzend Restaurants und Geschäfte hat der engagierte Enddreißiger nach und nach in der Region aufgebaut. Erst jüngst ist die traditionsreiche Stralsunder Fischhandlung »Rasmus« dazugekommen, bekannt für ihren Bismarck-Hering. Die hier verarbeiteten Heringe gehen in die lokale Gastronomie und werden in schmucken Holzkisten in alle Welt verschickt.

Angesicht der niedrigen Erträge entwickelten die Hiddenseer Fischer mit Schilling eine Vision: Fischkonserven, geschmacklich hochwertig, transparent, regional verwurzelt und zu einem fairen Preis. Die Initiative »Hiddenseer Kutterfisch« war geboren.

Kaum jemand vor Ort glaubte an die Idee, den Hering hochpreisig zu vermarkten. Heute stehen die Fischdosen im künstlerisch gestalteten Kartonschuber in den führenden Feinkostläden von Hamburg bis München, gefüllt mit heimischem Fisch nach eigens entwickelten Rezepten. »Hiddenseer Kutterfisch« ist drauf und dran, eine Kultmarke zu werden.

Zukunft der handwerklichen Fischerei?

Was es braucht, um die handwerkliche Fischerei zu erhalten, war auch Thema einer Veranstaltung, zu der Slow Food Deutschland in Schillings Gasthof am Hafen von Schaprode auf Rügen einlud. Die Frage traf offensichtlich einen Nerv, der NDR hatte sich angekündigt, auch die Politik war da.

Für Slow Food Deutschland war es eine Gelegenheit, die eigene Position mit lokalen Akteuren zu teilen: »Wir setzen uns für eine Stärkung der handwerklichen Fischerei ein, um die regionaltypische Fischerei zu erhalten und die biokulturelle Vielfalt der Region zu bewahren und teils erst einmal wieder bekannt zu machen«, erklärte Dr. Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland und selbst Fischereiexpertin. »Wir wollen die Diversität von Fisch und Meeresfrüchten auf dem Teller auch für künftige Generationen sichern und für einen meeresgesunden Fischgenuss begeistern.«

Die Gäste konnten den in Schaprode angelandeten Fisch frisch zubereitet genießen, Hornhecht und Ostsee-Makrele. Die Reden und Gespräche an der langen Tafel gingen hin und her, die Sache war ernst.

»Wir müssen aufpassen, dass die Fischer und ihr Handwerk nicht immer mehr zur Folklore werden, wenn sie nur noch im Hafen Netze flicken, um als Anschauungsobjekte für Touristen zu dienen«, warnte Heiko Miraß, Politiker auf der Insel Rügen, beruflich als Staatssekretär im Schweriner Finanzministerium tätig.

Auch wenn abschließende Antworten an diesem Abend rar waren, einige Hinweise gab es doch: Die Zukunft liege weniger im Frischfisch, sondern in der Verarbeitung des vorhandenen Fischs zu Produkten, nachhaltig und hochwertig. Da seien jetzt die Jungen gefordert, neue Ideen zur Verkaufsreife zu bringen. Die Politik könne gezielt fördern, auch im Landesmarketing mehr tun für die heimischen Produkte in handwerklicher Qualität.

Erste Anfänge einer neuen Kultur hochwertiger Fischfeinkost an der Ostsee gibt es bereits hie und da – Nachwuchsfischer, die sich mit dem Lebensmittelhandwerk in der Stadt zusammentun.

Appetit auf Weißfisch machen

Und warum nicht auch vermehrt jene »weißen« Fischarten fangen, die in der Ostsee und den Boddengewässern in großer Vielfalt vorhanden sind und nur wenig befischt werden? Die Fischer wären dazu bereit, sagen sie, nur werde dieser Fisch kaum nachgefragt. Anders als die polnischen Nachbarn hätten die Deutschen es verlernt, mit grätenreichen Fischen in der Küche oder auf dem Teller umzugehen. Hier brauche es öffentliche Nachhilfe, Informationskampagnen und Weiterbildung für die Gastronomie.

Mathias Schilling ist diesen Sommer bereits auf eine neue Idee gekommen: Er serviert seinen Gästen kleine Ostsee-Sprotten, auf denen kaum Fischerdruck lastet, und um die sonst nicht viel Aufhebens gemacht wird. Meist kommen Sprotten lieblos geräuchert daher. Im »Hafenkater« auf Hiddensee werden sie ohne Kopf leicht mehliert, fein gewürzt und knusprig ausgebacken. Ein Hingucker auf dem Tisch und ein schöner sommerlicher Snack, ideal zu Sonne, Strand und einem kühlen Bier oder Weißwein. Bestimmt lässt sich mit der Sprotte noch viel mehr machen.

Der Text erschien in abgewandelter Form im Slow Food Magazin, Ausgabe 04/2021

Gut für’s Klima, gut für die Region: Pilze aus Wittenhagen

Verschiedene Speisepilze

Die Geschichte ist schnell erzählt: Andreas Elsholz, ehemaliger Betriebsleiter einer Großfleischerei in NRW, verliebt sich ins Meer, zieht an die Eastcoast. Angekommen, baut er eine Speisepilzzucht in Wittenhagen im Landkreis Vorpommern-Rügen auf. „Ich wollte noch einmal etwas ganz anderes starten im Alter“, erklärt er im Fernsehen. Er nutzt die Gebäude einer ehemaligen Parkettfabrik, die vielen in der Region noch ein Begriff ist. Neben den Pilzen bietet Elsholz auch Produkte wie vegetarische Quiches mit Pilzen, Pilze in Aspik oder herzhafte Pilz-Bouletten an, alles raffiniert gewürzt und ansprechend zubereitet; der Mann versteht etwas von seinem Handwerk. Vor allem kann er die gesundheitlichen Vorzüge seiner Produkte, die sich gerade für eine fleischarme oder fleischlose Ernährung eignen, überzeugend und gewinnend vermitteln.

Wohl nicht zuletzt deshalb kommen die Pilze gut an auf Wochenmärkten, im eigenen Hofladen und zunehmend auch in der Gastronomie. Auf den Wochenmärkten stehen Junge wie Ältere Schlange, probieren, kaufen, kommen wieder, werden zu Stammkunden und bringen weitere Kunden mit. Bei der Regionalproduktemesse im Oktober 2019 in Greifswald war der Pilz-Verkaufswagen schon zur Mittagszeit leergekauft, neue Ware musste aus Wittenhagen herangeschafft werden. Nachdem der NDR berichtet hat, steht das Telefon nicht mehr still. Es ist, als hätte die Region auf die Edelpilze aus Wittenhagen gewarten. Eine Erfolgsgeschichte.

Was können wir daraus lernen?

1.) Mecklenburg-Vorpommern ist für Food-Entrepreneure und -Aktive aus anderen Regionen  attraktiv. Hier sind Freiräume und Potenziale vorhanden, die es so anderswo längst nicht mehr gibt. Das Land tut gut daran, die vorhanden Beispiele einer kleinteiligen, qualitätsorientierten Lebensmittelwirtschaft – interessante Betriebskonzepte, traditionsreiche und moderne Manufakturen, altes und neues Lebensmittelhandwerk, innovative Produkte, neue Formen der Direktvermarktung online wie offline, solidarische Modelle der Stadt-Land-Beziehung wie Solawis und Food-Coops – besser nach innen wie nach außen hin sichtbar zu machen.

2.) Die Kleinen sind mindestens so wichtig wie die Großen. – Gewiss, jeder Wirtschaftsförderer träumt von der Neuansiedlung großer Unternehmen. Doch auch kleine und mittlere Betriebe sind oftmals vielfach innovativ, findig und sogar resilienter. Die lokale Wertschöpfung und die ökologischen und sozialen Mehrwerte können beachtlich sein, und sie sind vor Ort direkt sichtbar und wirksam. In Produkten der kleinen und mittleren Betriebe der Landwirtschaft und der Lebensmittelwirtschaft lebt die Region – Terroir, Heimat, wie auch immer. Das hat positive Effekte bis hinein in den Tourismus.

3.) Der Erfolg der Pilze aus Wittenhagen vermittelt uns im Kleinen eine Ahnung davon, wohin der gesellschaftliche Trend geht: Gesundheit, Ökologie, Tierschutz und Klimaschutz werden wichtiger. Immer mehr Menschen legen Wert auf bessere Lebensmittel, und es zählt nicht mehr nur billig. Für viele muss nicht mehr jeden Tag Fleisch auf dem Teller liegen, und wenn, dann keines aus der Massentierhaltung.

Hier eröffnen sich ganz neue Chancen für Regionalprodukte, für hochwertige, gesunde Erzeugnisse aus bäuerlicher Landwirtschaft und respektvoller Tierhaltung, aus dem qualitätsbewußten Lebensmittelhandwerk und nachhaltiger Gastronomie.

Unsere Esskultur verändert sich, und der Wandel wird tiefgreifender sein als manche bislang ahnen. Auch im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern. Die Pilze sind erst der Anfang.

Pilzhof Wittenhagen
NDR-Nordmagazin über den Pilzhof Wittenhagen (3 min)

Immer dienstags: Regionalmarkt in Barth

Ketchup und andere Würzmittel im Glas

Update, Sommer 2021: Den Regionalmarkt in Barth gibt es leider nicht mehr in der hier beschriebenen Form. Die teilnehmenden Anbieter finden Sie über Sommer auf den Märkten auf Fischland-Darß-Zingst.

Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist bekannt für ihre gut besuchten Wochenmärkte, die über Sommer u.a. in Ahrenshoop, Dierhagen, Prerow, Wieck und Zingst stattfinden. Noch recht jung ist der Regionalmarkt in der Stadt Barth auf dem gegenüberliegenden Festland, in der Saison von Mai bis Oktober. Der Markt weist einige interessante Besonderheiten auf.

Der Regionalmarkt in Barth findet immer dienstags 10–14 Uhr auf dem zentralen Marktplatz statt, unmittelbar an der weithin sichtbaren St.-Marien-Kirche. Die Gründung geht auf einen Kreis von markterfahrenen und qualitätsbewußten Erzeugerbetrieben zurück, der seit 2018 auch den Regionalladen „Alte Gutsgärtnerei Parow“ bei Stralsund betreibt.

Auch im Falle des Regionalmarkts in Barth haben sich die Erzeugerinnen und Erzeuger vorab zusammengeschlossen und sind auf die Stadt zugegangen. Durch gemeinsames Agieren und im geduldigen Dialog mit der Stadtverwaltung und dem damaligen Bürgermeister Stefan Keith konnten sie ihre Vorstellungen hinsichtlich der Qualität des Angebots, der teilnehmenden Anbieter, der Öffnungszeiten, der Anordnung der Stände auf dem Marktplatz u.a.m. weitgehend durch- und umsetzen, so Michelle Rost von der Bio-Rösterei LandDelikat.

Es handelt sich in Barth um einen reinen Lebensmittelmarkt, der gelegentlich durch Kunsthandwerk ergänzt wird. Die berüchtigten Socken- und Miederhändler, Ramsch und Großmarktware sind tabu. Der Kreis der Initiatoren entscheidet demokratisch über die Teilnahme von neuen Anbietern, welche nach Qualitätsgesichtspunkten und im Hinblick auf ein vielseitiges Marktangebot ausgewählt werden. Im Grunde ist dies der Prinzip der Marktgilden, wie es sie früher schon in Städten gab.

Aus Sicht der Initiatoren lief der Barther Regionalmarkt bereits im ersten Jahr sehr erfolgreich. Der Markt wird nicht nur von Touristinnen und Touristen, sondern auch von Einheimischen sehr gut angenommen.

Wichtig für die Entwicklung war, so Michelle Rost, die Erfahrungen laufend auszuwerten, Veränderungen und Anpassungen sofort praktisch in Angriff zu nehmen und flexibel auf Schwächen wie Stärken zu reagieren. So konnte das Angebot in hoher Qualität, ohne Verwässerung, auf die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen hin ausgestaltet werden. Die Selbstverwaltung des Marktes zeitigt hier eindeutig bessere Ergebnisse als die Marktorganisation durch eine überforderte Stadtverwaltung oder durch den Großmarkt Rostock, wie in vielen Gemeinden der Region üblich. Davon konnten wir uns bei unserem Besuch im Juni überzeugen.

Das Beispiel Barth könnte eine Blaupause für weitere Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommen sein, die mit regelmäßigen, qualitätsorientierten Frischemärkten attraktive Einkaufsmöglichkeiten für ihre Bürgerinnen und Bürger in Ergänzung zu den Discountern und Supermärkten schaffen und dadurch nicht zuletzt die regionale Wirtschaft fördern wollen. Zusammenschlüsse und die Selbstorganisation von Erzeugerbetrieben und Händlern sollten dabei gezielt gefördert werden.

Letzter Markttag in Barth ist übrigens der 29. Oktober 2019 – Zeit genug, um dem Regionalmarkt über Sommer einen Besuch abzustatten. Die Stadt Barth ist durch die Bahn von Stralsund und Rostock aus auch ohne Auto gut angebunden (Umstieg in Velgast). Von Barth aus ist auch die nahegelegene Ostseeküste mit ihren Seebädern und Stränden per Regionalbus (teils mit Fahrradanhänger) und per Schiff schnell erreichbar.

Weitere Märkte auf Fischland–Darß–Zingst (Auswahl)

Regionalmarkt BarthRegionalmarkt BarthRegionalmarkt BarthRegionalmarkt BarthRegionalmarkt Barth

Eindrücke vom 3. Norddeutschen Ernährungsgipfel

Strand in Warnemünde mit Strandkörben

„Ernährungsgipfel“ – das klingt vielversprechend. Ernährung ist wichtig und geht alle an. Denn was wir essen und wie es produziert wird, hat massive Auswirkungen auf unsere Gesundheit, auf die Umwelt, auf die Tiere, und es entscheidet mit darüber, ob die Menschheit die Klimakrise bewältigen kann.

Gleich vorweg: Vom Klima war beim 3. Norddeutschen Ernährungsgipfel nicht die Rede, mit einer Ausnahme. Doch der Reihe nach.

Eingeladen hatte die Marketinggesellschaft der Agrar- und Ernährungswirtschaft Mecklenburg-Vorpommern e.V., kurz: AMV Marketinggesellschaft, ins Hotel Neptun in Rostock-Warnemünde, mit Blick auf den Strand und die Ostsee. Der Norddeutsche Ernährungsgipfel wurde gemeinsam mit Partnern aus Hamburg und Brandenburg ausgerichtet. Was genau das Thema der Veranstaltung sein sollte, erschloss sich im Vorfeld nicht so richtig. Um was sollte es gehen? Um Online-Vermarktung, um Regionalprodukte, um den Lebensmitteleinzelhandel?

Die erste Gastrednerin war Hanka Mittelstädt, Vorstandsvorsitzende des Marketingverbands Proagro e.V. in Brandenburg. In der Rede klang an, dass man erst jetzt so recht erkannt habe, welche Absatzchancen die Millionenstadt Berlin im Herzen des Bundeslandes bietet. Es gäbe allerdings in Brandenburg kaum Verarbeitungsstrukturen für Lebensmittel, so Mittelstädt. Tatsächlich geht in dem Bundesland fast alles, was vom Acker oder aus dem Stall kommt, direkt in den Export (im Norden sagt man: über die Hafenkante). Regionales Bio-Gemüse, seit Jahren in Berlin sehr stark nachgefragt, wird in ganz Brandenburg auf weniger als 300 Hektar angebaut, eine Fläche kleiner als der alte Flugplatz Tempelhof in Berlin. Immerhin beginne die Förder- und Strukturpolitik des Landes, so Mittelstädt, sich nun stärker auf den regionalen Markt zu fokussieren.

Unter den nächsten Gastrednern waren die Landesminister Till Backhaus (Landwirtschaft, Umwelt) und Harry Glawe (Wirtschaft, Tourismus). Beide würdigten ausdrücklich die Bedeutung der kleinteiligen Lebensmittelwirtschaft in MV: die Kleinproduzenten, Familienbetriebe, bäuerliche Erzeuger, Manufakturen, das Lebensmittelhandwerk, Hofläden und Regionalläden, wo die typischen Regionalprodukte hergestellt und vertreiben werden.

Die kleineren Produzenten und ihre Qualitätsprodukte bringen „Tradition und Gegenwart“ in der Region zusammen, stellte Backhaus fest. Regionalprodukte seien nicht nur ein bedeutender Faktor für den Tourismus, sondern auch für die hier lebenden Menschen wichtig, betonte Glawe. Gleichzeitig klang in der anschließenden Diskussion durch, dass bislang die kleinteilige Lebensmittelwirtschaft unterschätzt, das Potenzial zu wenig genutzt wurde.

Schließlich hat auch die AMV Marketinggesellschaft erst kürzlich damit begonnen, sich den kleineren Produzenten und Produzentinnen im Land zuzuwenden. Mit dem Ernährungsgipfel sollte nun das Versäumnis im Schnelldurchlauf nachgeholt werden. Und – Überraschung! – die AMV hatte auch gleich zwei Patentlösungen parat. Die Kleinerzeuger, Manufakturen und das Lebensmittelhandwerk sollen sich in Zukunft einfach mehr über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und online vermarkten.

Darauf folgte ein professionell durchchoreografierter Auftritt einer Expertin und eines Experten aus einem Marktforschungsinstitut, die dem Publikum die neusten Trends aus der Welt der großen Handelsketten Edeka, Rewe, Lidl & Co näherbrachten. Da war viel von Gewinnern und Verlierern, Marktanteilen, Supermarktisierung, neuartigen Ladenkonzepten, Regalaufbauten, Sortimentsbereinigung, Authentizität und Convenience in unschönen Plastikverpackungen die Rede.

Im Anschluss hieran verließen die ersten, durchaus namhaften Inhaber und Inhaberinnen von Manufakturen in MV den Ernährungsgipfel.

Weiter ging es mit Vorträgen von Vertretern von Rewe und einer Discouterkette. Denkwürdig der Auftritt des Rewe-Managers: Wortreich versuchte er, potenziell anwesenden Kleinproduzenten die Angst vorm Supermarkt zu nehmen. Alles easy, Partnerschaft auf Augenhöhe. Wer die Branche kennt, der weiß jedoch, wie die Ketten mit ihren Lieferanten umspringen, weiß um die erbarmungslose Preisdrückerei, der Kampf um die Zehntelmargen, das Reinreden in die Produkte bis in die Rezepturen und Verpackungen. Besser, man hat noch weitere Vertriebsstandbeine, um im Notfall nicht abhängig zu sein. Dass er mehrfach paternalistisch und von oben herab über seine „Schützlinge“ herzog, die teils nicht einmal in der Lage seien, ein Fax richtig zu versenden oder eine Mail zeitnah zu beantworten, das war dem Rewe-Mann wohl gar nicht bewußt.

Klar wurde einmal mehr: die Handelsketten gieren nach Regionalität. Sie versprechen sich davon Glaubwürdigkeit und Erdung, welche die Nahrungsindustrie ihnen nicht liefern kann, allen Bemühungen zum Trotz.

Tatsächlich ignoriert die Empfehlung, in den LEH zu gehen, alle Erfahrungen und Erkenntnisse über die Vermarktung von Lebensmitteln aus kleinbäuerlicher Herstellung, aus Manufakturen und dem Lebensmittelhandwerk. Hier geht es vor allem um Direktvermarktung B2B und B2C, um Hofläden, Regionalläden, Feste, Markthallen, Wochenmärkte und Lieferkisten. Dafür gibt es bereits viele fantastische Beispiele im Land, die unterstützungswürdig sind und ausbaufähig. Für die meisten dieser Produzenten ist der Gang in den Supermarkt kein attraktiver Deal. Er widerspricht oft sogar ihrem Verständnis von Qualität und Produzentenethos. Wenn dennoch im Einzelfall der LEH als Vertriebskanal hinzukommt, umso besser.

Im Hinblick auf den Online-Handel ist es wenig zielführend, wenn jeder einzelne Kleinproduzent seinen Shop aufzusetzen versucht. Die dazugehörigen Pflege- und Marketingleistungen können diese Unternehmen kaum erbringen oder bezahlen. So richtig voran könnten die Produzenten und die Regionalprodukte kommen, wenn sich mehr Erzeugernetzwerke im Land bilden, wenn attraktive Zielgruppen- und Regional-Portale entstehen, die mit dem Tourismus verknüpft und dann mit Köpfchen und Power vermarktet werden. Das setzt voraus, dass die Politik die Beteiligten an einen Tisch holt, Strukturbildung unterstützt, Kooperation und Netzwerke belohnt. Dies könnte auch eine sinnvolle Aufgabe für eine AMV Marketinggesellschaft sein.

Die AMV Marketinggesellschaft selbst muss sich weiterentwickeln, damit sie künftig tatsächlich die Interessen nicht nur der großen Agrarbetriebe, Nahrungshersteller, Verpackungs-, Handels- und Logistikdienstleister, sondern auch die Vielfalt und Vielzahl der kleineren, kreativen und qualitätsorientierten Produzenten im Land repräsentieren kann.

Zu den Standards moderner Konferenzen zählt heute auch eine gute Verpflegung. Hier war der Norddeutsche Ernährungsgipfel leider kein Vorbild. Viel zu viel Fleisch, Wurst, billige Backwaren und Süßes, wenig Obst und Frisches, und tatsächlich nicht ein einziges vegetarisches Gericht. Eine zeitgemäße, klimaverträgliche und gesundheitsfördernde Ernährung sieht anders aus. MV ist bekanntlich das Bundesland mit den übergewichtigsten Bürgerinnen und Bürgern – ein Riesenproblem. Hier könnte ein Ernährungsgipfel künftig Akzente in Richtung gesunder Ernährung setzen.

Apropos Klima. Agrar und Ernährung sind bekanntlich noch bedeutender für die Klimakrise als beispielsweise der Verkehrssektor. Wäre es da nicht gut, wenn bei einem Ernährungsgipfel, der seinen Namen verdient, auch dieses drängende Zukunftsthema eine Rolle spielte?

Der gewitzte Till Backhaus muss dies alles im voraus gewusst haben. Unvermittelt hellte sich des Ministers Miene auf, als er erwähnte, dass er sich mit der Klimaschutz-Bewegung „Fridays for Future“ getroffen und mit den Jugendlichen einen landesweiten „Rat für Nachhaltigkeit und Umwelt“ vereinbart habe. Dafür gab es vom Publikum Applaus auf offener Szene. – Also, geht doch!